Während der Reise hast du ja einiges erlebt und sicher auch dazugelernt. Was hast du erfahren? Über das Land, über die Leute – Über das Radfahren?
Ich glaube die wichtigste Lehre war: Diese sehr langen Tagesdistanzen lassen sich nur schwer damit verbinden die Orte tiefer zu ergründen. Das Schöne am Fahrrad als Reise-Transportmittel ist ja, dass man damit so nah an der Umgebung dran ist wie sonst mit keinem anderen Transportmittel, und gleichzeitig trotzdem erhebliche Strecken zurücklegen kann. Jetzt habe ich aber zu spüren bekommen, dass ich das Gleichgewicht aus „Strecke“ und „Erfahrung der Umgebung“ überschritten habe. Ich kann jetzt zum Beispiel zwar behaupten, dass ich in Litauen war; „Check“. Aber letztlich bin ich eben nachmittags über die litauische Grenze eingefahren und – abgesehen von
einem Hamburger in Klaipeda – morgens um 5 Uhr nach Lettland wieder rausgefahren; dazwischen gab‘s nur Landstraßen, überwiegend im Dunkeln. Gleichzeitig habe ich in Sachen Radfahren aber auch gelernt, dass ich, obwohl ich auch punktuell echt an meine Grenzen gestoßen bin, noch effizienter fahren könnte und im Grunde die Reichweite noch erhöhen kann. Wenn es um Land und Leute geht verhält es sich so: Ich habe diese Himmelsrichtung ja gewählt, weil ich die Länder alle noch nicht kannte und mal ein Gespür dafür bekommen wollte; natürlich habe ich versucht möglichst ohne Erwartungen daran zu gehen, aber das lässt sich ja nicht immer abschalten. Z.B. hatte ich erwartet, dass man in den 3 baltischen Staaten noch mehr Spuren der Sowjet-Zeit sieht und wurde eines Besseren belehrt. Auch St. Petersburg habe ich mir teilweise anders vorgestellt; die Stadt ist noch erheblich bunter und lebendiger als ich es eh schon vermutete. Ich hatte vorab Bedenken in Sachen Sicherheit; erst in Finnland fiel mir rückblickend auf, dass St. Petersburg mindestens im Stadtzentrum zu jeder Tages- und Nachtzeit so sicher war, dass ich das ganze Thema komplett ausgeblendet hatte. Die Finnen haben mich durch ihre Wohlgesonnenheit, Freundlichkeit, Zugewandtheit und positive Grundhaltung beeindruckt. Vielleicht habe ich dort auch mehr davon mitbekommen, weil die Sprachbarriere da am niedrigsten war; aber das wurde mir auch schon an Körpersprache, Verhalten und Mimik sehr deutlich. Ich weiß nicht, wo mir sonst mal ein Pizzabote begegnet ist, der bei strömendem Regen mit breitem Grinsen bergauf radelt.
Was würdest du anders bzw. genauso wieder machen auf der nächsten Tour?
In jedem Falle werde ich mir genauere Gedanken über den Kompromiss zwischen langen Tagesdistanzen und dem Austausch mit der Umgebung machen. Vielleicht werde ich kürzere Tagesstrecken wählen, oder zumindest nur an manchen Tagen alles machen was mir möglich ist. Dadurch würde ich manchmal früher am Abend ankommen und könnte mich mehr auf den Ort und andere Reisende oder auf die „Locals“ einlassen und bräuchte dann auch weniger Schlaf zur Erholung. Bis jetzt habe ich mich Streckenmäßig mit jeder Radreise gesteigert, mal sehen wieweit ich mich diesem Drang entziehen kann. Außerdem werde ich für die nächste Tour den Fokus auf interessante Landschaft legen. Ich habe auf dieser Tour etwas landschaftliche Vielfalt vermisst; weite Felder und Highways durch Waldschneisen haben sich schnell abgenutzt, auch wenn es schön ist; da diente das Fahren irgendwann nur noch dem „Strecke machen“. In Zukunft will ich dafür sorgen, dass ich das Fahren selbst wieder noch mehr zum Erlebnis mache und nicht nur die Tour in seiner Gesamtheit. Vielleicht sollte ich mal wieder durch die Berge. Über die Alpen und Pyrenäen nach Spanien oder Portugal… das könnte das Richtige sein! Wegen den langen Distanzen und der damit verbundenen Erschöpfung habe ich bei meiner Tour abends doch immer ein Bett dem Zelt vorgezogen, obwohl ich letzteres ja dabeihatte. Beim nächsten Mal werde ich wieder mehr Campen.
Welche Tipps würdest du Reisenden, die durch Russland (oder durch ein anderes Land generell) radeln, geben?
Angeblich sind ja aller guten Dinge 3
- Ein wichtiges Thema war auf meiner Tour immer wieder der Straßenbelag. Mein ganz praktischer und auf leidvollen Erfahrungen basierender Rat wäre: In Nordost-Europa und insbesondere in Russland solltet ihr im Zweifelsfalle immer die vom Belag her sicherere Strecke vorziehen und keine Experimente wagen – insbesondere, wenn ihr mit einem Rad unterwegs seid, das nicht für den Offroad-Gebrauch ausgelegt ist. Klingt banal, aber spart einem eine Menge Zeit und Nerven.
- Immer Kabelbinder dabeihaben.
- Nehmt euch die Zeit, euch auf Menschen und Eigenheiten eines Landes einzulassen. Wahrscheinlich werdet ihr z.B. nicht oft nach Russland fahren, darum solltet ihr da auch mal an ungewöhnlichen Orten Stopps einlegen: Kauft Erdbeeren bei der Bäuerin am Straßenrand, geht in eine Messe der Dorfkirche, fragt einen Bauern um Erlaubnis auf seinem Acker zu Zelten. Diesen Tipp werde ich mir jedenfalls auf meiner nächsten Tour noch stärker zu Herzen nehmen.
Du schriebst im Blog, dass du keine Symbole brauchtest. Was meinst du damit?
So ähnlich hatte ich es zu meiner Ankunft in Helsinki (…) geschrieben. Aber mit entscheidenden Einschränkungen: Was ich meinte war ungefähr, dass ich gerne so tun würde, als wären mir Symbole auf der Tour nicht wichtig, aber genau weiß, dass das nicht stimmt. Ich glaube, so eine Tour kann u.a. zwei Seiten eines CyclingTourist bedienen, ich glaube das gilt für jeden: Die eine Seite ist der erfahrende Reisende; das ist der Teil des Reisenden, für den nur der aktuelle Moment wichtig ist. Unter dem Gesichtspunkt war z.B. die letzte Etappe nach Helsinki ein tolles Erlebnis: Sonne, Hügel, der Duft der Landschaft, etc. großartig in dem Moment, und völlig unsymbolisch für sich selbst stehend. Die andere Seite ist der sich erinnernde Reisende; das ist der Teil des Reisenden, der die Reise in einem größeren Kontext betrachtet, d.h.: Der Teil, der z.B. die
Vorfreude genießt, während der Tour z.B. an harten Tagen von dem Gesamtunterfangen angetrieben wird oder sich später an die Reise erinnert. Und dieser sich erinnernde Teil von mir braucht auch Symbole; deshalb bin ich in Berlin losgefahren und nicht in einem polnischen Grenzdorf und deshalb hat z.B. ein Foto von der Ankunft in Helsinki oder vor den Ortseingangsschildern meiner Zwischenziele schon einen Wert für mich, auch wenn der ganz konkrete Moment eher von Erschöpfung und der Sehnsucht nach einer Dusche geprägt ist. Auch wenn man überall hört man solle „in dem Moment leben“: Der den Moment erfahrende und der sich (auch durch Symbole) erinnernde Teil meiner Touristenpersönlichkeit sind mir beide wichtig. Ich glaube sonst würde ich auch gar nicht die gelegentlich dazugehörende Qual mitmachen und schätzen.
Vielen Dank, Malte, für das Interview!
Wenn ihr mehr über Maltes Abenteuer lesen möchtet, dann schaut mal auf seinen Blog oder folgt ihm auf Facebook und Instagram. Seine Erzählungen gibt’s hauptsächlich auf Englisch, er hat aber auch deutsche Beiträge verfasst. Wir sind gespannt, welche Abenteuer er noch mit seinem Fahrrad durchlebt!
Das könnte dich auch interessieren: